Direkt zum Seiteninhalt

Zen im Alltag: Nur-das

Ein gewöhnlicher Tag. Ich sitze im Büro und schreibe an einem Artikel. Ich höre die Türklingel und nehme ein Paket an und schreibe weiter.
Nichts Besonderes. So verlaufen viele Tage. Schauen wir hin - mit der Lupe „Nur-das“.
Was hat das mit Zen zu tun?

Es klingelt.
Runtergehen.
Pakete entgegennehmen.
Unterschreiben.
Hochgehen.
Pakete auf den Tisch.
Weiterschreiben.

So sieht mein Alltag oft aus. Nichts Spektakuläres, keine Zen-Halle, keine Räucherstäbchen. Tür, Pakete, Küchentisch, Laptop.
Früher hätte ich in solchen Momenten nicht an Zen gedacht. Heute merke ich: Genau hier übe ich.
Wo ist die Lupe mit den starken Gläsern?


Wasch deine Essschale
"Gerade bin ich erst in diese Kloster eingetreten. Gebt mir bitte Unterweisung!"
"Hast du deinen Reisbrei gegessen?"
"Ja das habe ich."
"Dann wasch deine Essschale."

Oft wird dieses Koan so gedeutet:
Der erste Aspekt ist die Erleuchtung (das Essen). Dann gilt es, den „restlichen Glanz der Erleuchtung“ durch das Waschen zu beseitigen.

Unsere „Nur-das“-Lupe zeigt jedoch etwas sehr Einfaches:
Du hast gegessen. Fertig. Jetzt ist dran: Schale waschen.

Essen.
Fertig.
Schale waschen.

Kein Sonderzustand. Kein Extra-Dharma. Nur der nächste, ganz gewöhnliche Schritt.
Drei Pfund Flachs
Ein Mönch fragt Tozan: "Was ist Buddha?"
Tozan antwortete: "Drei Pfund Flachs".

Mit unserer Lupe sehen wir etwas ganz Gewöhnliches: Wir sehen Flachs. Oder wir tragen einen Ballen Stoff aus Flachs durch die Werkstatt. Nichts Geheimnisvolles.

Diese alten Geschichten zeigen immer wieder dasselbe:
Kein Sonderzustand. Kein heiliger Extra-Raum. Nur das, was gerade dran ist.


Heute am Schreibtisch
Ich sitze vor dem Computer und schreibe an einem Artikel. Meine Frau liest im Wohnzimmer. Es klingelt und sie geht zur Tür. Ich rufe: "Ist die Post schon gekommen?"

Sie antwortet: "Das war die Tochter von nebenan, eine junge Dame im Teenager-Alter. Sie hat mal wieder den Schlüssel vergessen. Und das passiert sicher dreimal in der Woche. Unsere Nachbarin im Erdgeschoss ist schon ganz genervt."

Zurück zum Artikel. Es klingelt wieder. Ich gehe zur Tür. Diesmal die Post mit zwei Paketen - für meine Frau. Unterschreiben. Die Pakete wandern auf den Küchentisch, ich zurück an den Schreibtisch.

Meine Frau kommt herein. Sie hat neue, warme Handschuhe erhalten. Freudig führt sie die Handschuhe vor.

Autsch -  in die "Nur-das-Falle" getappt.
Nur-das hier: Meine Frau strahlt.

Wie kommen wir in diesem persönlichen Beispiel "Heute am Schreibtisch" zu "Nur-das"?

Na ja, wir müssen alles entfernen, was da nicht hingehört.
Und was gehört hier nicht hin?

All die Kommentare, Bewertungen und Geschichten, die wir zusätzlich erfinden. Schauen wir uns die Szene noch einmal an – unter der Lupe „Nur-das“

Es klingelt.
Runtergehen.
Pakete entgegennehmen.
Unterschreiben.
Hochgehen.
Pakete auf den Tisch.
Weiterschreiben.

Dieses kleine „Gedicht“ ist reduziert auf „Nur-das“. Nicht mehr dabei ist – in Alltagssprache – die ganze Kommentar-Soße.

Aber was ist mit der Nachbarstochter. Die kann ich doch nicht einfach weglassen?

Doch, das kannst du – in deinen Kommentaren und Mutmaßungen.
Natürlich ist sie da. Und wahrscheinlich klingelt sie, wenn der Schlüssel vergessen wurde. Also geben wir ihr ihren Platz, ganz schlicht:

Lena verlässt die Wohnung.
Es klingelt.
"Hallo – mein Schlüssel ist nicht dabei."
Tür öffnen.
Weiterschreiben.

Und jetzt noch die Handschuhe.

Meine Frau zeigt mir ihre neuen Handschuhe.
Sie strahlt.

In diesem Moment ist ‚Buddha‘ nicht irgendwo weit weg. Er ist genau dort: in diesem Gesicht, das strahlt, in diesen warmen, praktischen Handschuhen.
Heute könnte ich sagen: Neue Handschuhe auf dem Küchentisch.



Übungsanregung:

Nimm dir heute eine ganz gewöhnliche Tätigkeit:
Zähneputzen. Geschirrspüler ausräumen. Jacke aufhängen.
  1. Tu sie so gut du kannst, ohne Eile.
  2. Danach schreib drei kurze Sätze im „Nur-das“-Stil auf:
    „Jacke ausziehen.
    An die Garderobe hängen.
    Schuhe aus.“
Mehr nicht. Keine Erklärung, kein Kommentar. Nur-das.

Was passiert, wenn du dein Leben einmal so betrachtest – ohne Erklärung, nur in klaren, einfachen Handlungen?





Seisen - November 2025


Zurück zum Seiteninhalt