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Nicht-Gedanke, Nicht-Form, Nicht-Verweilen


Im vorherigen Artikel wurde die buddhistische Grundlage "Nicht-Gedanke" besprochen. Der Nicht-Gedanke ist nur einer der drei Grundlagen der Lehre von Hui Neng. Die anderen beiden Grundlagen sind: Nicht-Form und Nicht-Verweilen. Was bedeutet Nicht-Form und was Nicht-Verweilen?

Alle drei Grundlagen zeigen in Richtung der Selbstnatur und das Wirken und die Lebendigkeit der Selbstnatur in unserer erfahrbaren Welt. Mit Lebendigkeit ist hier jetzt die Lebendigkeit gemeint, die ungestört und frei von irgendwelchen Annahmen, frei von Gedanken oder Vorurteilen fliessen und in Erscheinung treten kann. Dies ist der wichtigste Punkt im Verständnis der drei Grundlagen.
Nicht-Gedanke
Schauen wir noch mal zurück auf den Nicht-Gedanken: dies ist das nicht Denken innerhalb des Denkens. Gelingt es dir deine Vorurteile und deine vielen Annahmen abzulegen und wenn du dann mit dieser neu gewonnenen Freiheit dem Denken ebenfalls erlaubst frei zu fliessen, dann ist dies der Nicht-Gedanke. Beachte bitte, dass es einmal nicht denken heisst, also ohne Bindestrich, und einmal Nicht-Gedanke mit einem Bindestrich.

Übung: Um besser damit in Kontakt zu kommen, kannst du über die Grundlage Nicht-Gedanke selbst-reflektieren. Du kannst dich im Verlauf des Tages beobachten, ob deine Gedanken, dein Sprechen oder dein Handeln auf persönlichen oder kollektiven Annahmen beruht. Falls ja, ist dies gewöhnliche Denken. Und dann kannst du dich fragen, inwieweit hilft mir diese Annahme weiter? Brauche ich sie wirklich? Auf Sicht des Zen brauchen wir sie nicht, da sie uns nur binden und unfrei machen. Mache dir keine Sorgen, falls du diese Annahmen verlierst. Der Verlust macht nur Platz frei für die in uns schlummernde Weisheit der Selbstnatur. Diese Weisheit kennt alles, durchdringt alles und wird stets die zu diesem Moment passende Antwort geben.
Nicht-Form
Im Lied auf Zazen heisst es: Als Form, die Nicht-Form ist, sind wir nie irgendwo anders, ob wir kommen oder gehen. Alle Phänomene und Erscheinungen in unserer erfahrbaren Welt wird als "Form" bezeichnet. Also ich der Autor dieses Artikels bin Form. In der gewöhnlichen Wahrnehmung halten wir unseren Körper, also unsere Form, für bestehend oder weiterbestehend. Da alles von allem anderen in Abhängigkeit steht, unterliegt diese Form der ständigen Veränderung und dies so fein, dass "Ich" mich von Moment zu Moment verändere.

Einen gedanklichen Zugang findet man auf der "offensichtlichen Ebene" und auf der "subtilen Ebene". Offensichtlich bedeutet, dass wir dies direkt beobachten und für wahr bekunden können. Ein Beispiel dazu: In unserem Körper befinden sich über 100 Billionen Körperzellen. Und diese Zellen entstehen laufend durch Zellteilung, werden genährt und erneuert und zuguterletzt vergehen sie bzw. werden durch Autophagie in unserem  Körper wiederverwendet. Unsere Leber verfügt über die Fähigkeit, falls sie durch eine Operation nur noch 50% seines Volumens hat, sich wieder vollständig zu regenerieren. Unsere Wissenschaftler können dies unter dem Mikroskop beobachten und ihre Erkenntnisse weitergeben. Dies ist für mich ein gutes Beispiel auf der offensichtlichen Ebene, wie mein Körper einem ständigem Wandel unterzogen ist.

Schauen wir uns jetzt die "subtile Ebene" an. Ich mache im Tagesverlauf eine kurze Pause und atme fünfmal tief ein und tief aus. Dies mache ich ganz bewusst und ich schweife gedanklich nicht ab, sondern mein Geist begleitet meine fünf Atemzüge. Durch das Atmen wird mein Parasympathikus aktiviert und dies wiederum beruhigt meinen Körper. Ein ruhiger Körper wirkt dann auf meinen Geist. Waren vorher noch wilde Gedanken, eventuell Sorgen, so ziehen sich diese zurück. Körper und Geist haben sich verändert. Aus meiner Ruhe heraus, rufe ich einen Freund an und das Gespräch wirkt motivierend auf uns beide. Auch hier sehe ich die fortwährende Änderung klar und deutlich. Geht es noch subtiler? Bestimmt! Vielleicht fällt dir etwas ein: Schreibe mir doch gerne ein paar Zeilen.

Diese ständige Änderung oder Anpassung von Moment zu Moment passt nicht mehr zu unserer Vorstellung einer (festen) Form. Darum wird die Form Nicht-Form genannt.
Nicht-Verweilen
Die dritte Grundlage "Nicht-Verweilen" ist der zeitliche Aspekt der Nicht-Form. Es ist uns nicht möglich, stehen zu bleiben. Wir können uns ausruhen und uns wieder zu neuen Kräften bringen. Und danach geht es wieder weiter. So wir auf einer langen Wanderung. Bei der Wanderung ist es ganz klar, dass es nach der Erholungspause wieder weitergeht. Dies ist das Nicht-Verweilen.




Bilder: pixabay.
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Klaus-Peter Wichmann
Zen-Assistenzlehrer der Glassman-Lassalle Linie

kp-wichmann@parami.ch
www.parami.ch
14. April 2023
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