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Leerheit der fünf Skandas


Eintauchen in die Naturerscheinungen

Alle Personen nehmen mit ihren 5 Sinnen, also Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken, die sogenannte äußere Welt wahr. Mit dieser Wahrnehmung entstehen 5 Bewusstseinsarten, also zum Beispiel das Sehbewusstsein oder Hörbewusstsein. Wenn wir fasziniert von einem Sonnenuntergang sind, dann kommt dem Sehsinn eine besondere Bedeutung zu, aber auch die anderen Sinne nehmen diesen Sonnenuntergang wahr und es bildet sich ein einheitliches Bewusstseinsfeld. Wir können diese schönen Momente meditativ oder besser ungeteilt wahrnehmen, wir versinken in der Stimmung und werden ganz und gar absorbiert und Eins mit der Natur.

Andere schöne Beispiele sind das Beobachten der Wellengänge am Meeresstrand in der Morgen- oder Abendstimmung oder auch das Entspannen auf dem Sofa nach einem aufreibenden Arbeitstag. Es sind dies die Momente nach denen wir uns sehnen.


Überlagerungen

Ähnlich wie in der Meditation werden dann Gedanken auftauchen, die unsere ungeteilte Aufmerksamkeit teilen. So können Gedanken kommen, die am Strand etwas Unschönes entdecken, zum Beispiel ein vergessenes und schmuddeliges Handtuch. Ach, wenn das doch weg wäre, wie schön könnte es sein.

Oder warum hat sich mein  mein Freund gestern so herablassend mir gegenüber gezeigt. Ich habe ihm doch nichts getan. Vielleicht gelingt es mir wieder zurück zu kommen in diese ungeteilte Stimmung, vielleicht aber auch nicht. Und ich verstricke mich immer tiefer und tiefer in mein Gedankenkarussell. Warum ist das so?


Meine Geschichte

Ein bekanntes Koan lautet "Wer warst du vor der Geburt deiner Eltern?". Gemeint sind nicht deine wirklichen Eltern, sondern ein Zustand in dem es noch keine Konzepte, Ideen oder Projektionen gab, nennen wir es einen Urzustand. In der Koanarbeit sind Zen-Schüler:innen aufgefordert, dieses Frage zu lösen.

Die menschliche Fähigkeit, den einheitlichen Zustand allen Lebens differenziert wahrzunehmen, also unterscheidend denken zu können, ist eine gute Gabe. Sie hat jedoch dazu geführt, dass ich mich als separiert wahrnehme und in Sorge um Verluste angefangen habe, mir ein für mich kohärentes Weltbild oder Erklärungsmodell zu schaffen. In Sekundenschnelle können wir unterscheiden, gefällt mir, gefällt mir nicht oder ist egal. Mein Blick auf dieses ungeteilte Leben wird dadurch verzehrt, illusionär, krankhaft egozentrisch oder sogar verrückt. Hören wir und dazu diese Geschichte von Hermann Hesse an:


Hermann Hesse, China, Weisheit des Ostens

[Ein alter Mann mit Namen Chunglang, das heißt »Meister Felsen«, besaß ein kleines Gut in den Bergen. Eines Tages begab es sich, dass er eins von seinen Pferden verlor. Da kamen die Nachbarn, um ihm zu diesem Unglück ihr Beileid zu bezeigen. Der Alte aber fragte: » Woher wollt ihr wissen, dass das ein Unglück ist?«

Und siehe da: Einige Tage darauf kam das Pferd wieder und brachte eine ganze Herde Wildpferde mit. Wiederum erschienen die Nachbarn und wollten ihm zu diesem Glücksfall ihre

Glückwünsche bringen. Der Alte vom Berge aber versetzte: » Woher wollt ihr wissen, dass es ein Glücksfall ist?«

Seit nun so viele Pferde zur Verfügung standen, begann der Sohn des Alten eine Neigung zum Reiten zu fassen, und eines Tages brach er sich das Bein. Da kamen sie wieder, die Nachbarn, um ihr Beileid zum Ausdruck zu bringen. Und abermals sprach der Alte zu ihnen: » Woher wollt ihr wissen, dass dies ein Unglücksfall ist?«

Im Jahr darauf erschien die Kommission der »Langen Latten« in den Bergen, um kräftige Männer für den Stiefeldienst des Kaisers und als Sänftenträger zu holen. Den Sohn des Alten, der noch immer seinen Beinschaden hatte, nahmen sie nicht. Chunglang musste lächeln.]

Diese Geschichte zeigt auf, wie wir dazu neigen, die täglichen Ereignisse egozentrisch auslegen. Und auf unsere Meinungsbildung, dies sei ein Unglück, folgt dann auch eine Handlung, die in den Fluss des Lebens eingreift und für ein weiteres Durcheinander sorgt. Also erinnern wir uns ans Koan “Wer warst du vor der Geburt deiner Eltern”.


Michael Brück sagt dazu:

[Man kann die Wahrheit über den Menschen nicht erkennen (weil jedes Erkennen an bestimmten selbst-erzeugten Konditionierungen hängt), wohl aber “schmecken”, wie man im Zen sagen kann. Im Zen kommt es darauf an, dass der Mensch frei von sich selbst wird, d.h. frei von allen Projektionen, die er ... sich selbst und anderen auferlegt.]

Was meint Brück mit dem Ausdruck, die Wahrheit schmecken? Aus meiner Sicht ist dieses Schmecken ein intuitives Wahrnehmen. Mit unseren fünf Sinnen sind wir nicht in der Lage, die Wahrheit zu erkennen. Aus diesem Grunde schulen wir unsere Intuition mit Hilfe der Meditation und unseren Koans.

Die Leerheit der fünf Skandas

Skanda ist der buddhistische Ausdruck für alles was uns Menschen ausmacht. Skandas umfassen fünf Gruppen und zwar die:  Körperlichkeitsgruppe, Gefühlsgruppe, Wahrnehmungsgruppe, Geistesformationsgruppe und Bewusstseinsgruppe.

Im Herzsutra sieht Shariputra klar und deutlich, dass alle fünf Skandas vollkommen leer sind. Sie sind leer in dem Sinne, dass sie nicht über ein eigenständiges Selbst verfügen. Sie tauchen auf und vergehen wieder. Wie der Tautropfen im morgendlichen Gras. Wie eine Fatamorgana.
Dazu eine andere Zen-Geschichte.


Schmutzige Strasse

[Tanzan und Ekido wanderten einmal eine schmutzige Strasse entlang. Zudem fiel auch noch heftiger Regen. Als sie an eine Wegbiegung kamen, trafen sie ein hübsches Mädchen in einem Seidenkimono, welches die Kreuzung überqueren wollte, aber nicht konnte. “Komm her Mädchen”, sagte Tanzan sogleich. Er nahm sie auf die Arme und trug sie über den Morast der Strasse.

Ekido sprach kein Wort, bis sie des Nachts einen Tempel erreichten, in dem sie Rast machten. Da konnte er nicht mehr länger an sich halten, “Wir Mönche dürfen Frauen nicht in die nähe kommen”, sagte er zu Tanzan, “vor allem nicht den jungen und hübschen. es ist gefährlich. Warum tatest du das?”

“Ich liess das Mädchen dort stehen”, sagte Tanzan, "trägst du sie noch immer?"]

Diese Geschichte zeigt sehr schön, auf was es ankommt: wir führen unser gewöhnliches Leben von Moment zu Moment. In jedem Moment geben wir die passende Antwort. Und wir fügen dann dieser Antwort keine weitere Bedeutung hinzu, d.h. wir spinnen keine Geschichte darum herum. Passend ist passend und hat nichts mit falsch oder richtig zu tun. Falsch und richtig ist die Ebene des Dualismus, die Ebene unserer Geschichte, unserer Wünsche und Vorlieben und Abneigungen. Beispiel: am Vorabend in Feierlaune zu viel Alkohol getrunken. Am nächsten Tag fühle ich mich nicht wohl. Ich realisiere zu viel getrunken und das war es auch schon.


Meditation

Eine gute Möglichkeit sich mit der Leerheit der fünf Skandas vertraut zu machen und es zu verstehen ist unsere Zen-Meditation.

In der Meditation sind wir fest entschlossen unserer Gedankenkarussell rund um meine Geschichte zu durchschauen und wir bringen all unsere Kraft auf, diese Gedanken sein zu lassen, sie lediglich wahrzunehmen und dann wie die “Wolken weiterziehen zu lassen”, sie sind leer, sie sind wie Tautropfen, es lohnt sich nicht daran zu kleben. Es lohnt sich jedoch sich auf diese Gegenwärtigkeit voll und ganz einzulassen. Und wenn uns dies nicht gelingt, wahrnehmen und weitermachen. Was macht das schon?


Hui Hai

[Der Geist, der nirgends verweilt, ist frei von Anhaftung und Abneigung. Anziehende Dinge zu sehen, ohne Verlangen danach entstehen zu lassen - das ist ein Geist, der frei ist von Anhaftung. Unangenehme Dinge zu sehen, ohne Widerwillen dagegen zu empfinden - das ist ein Geist, der frei ist von Abneigung. Jenseits von Anhaftung und Abneigung erkennt der Geist die Leere aller Dinge und ist makellos und frei.]


Vortrag auf dem Zazentag im Lassalle-Haus vom 12.Oktober 2023 .

Klaus-Peter Wichmann (Hoshi)
kp-wichmann@parami.ch
parami.ch


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